In Zeiten der Unmenschlichkeit: Liebe über den Tod hinaus
Roman. Aus dem Koreanischen von Oh Dong-sik, Kang Seung-hee und Torsten Zaiak, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005 – www.dtv.de
Auch wenn bedeutende Werke der fernöstlichen Gegenwartsliteratur in deutschen Übersetzungen vorliegen, wird man wahrscheinlich nicht behaupten können, dass die Literatur Asiens hierzulande über ein Nischendasein hinauskommt. Umgekehrt ist die Situation anders, in Korea beispielsweise stößt in die Landessprache übersetzte deutsche Belletristik auf ein sehr großes Interesse. Dabei hat gerade die südkoreanische Literatur selbst eine Menge zu bieten, sie beschäftigt sich immer wieder mit der bis heute nicht überwundenen Teilung des Landes wie auch dem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg des Südens samt seinen Schattenseiten und hat oft eine deutlich politische Dimension. Insofern sind die einheimischen Schriftsteller dort meist Autoritäten, deren Stimme im politisch-gesellschaftlichen Diskurs gehört wird.
Zu den renommiertesten koreanischen Gegenwartsautoren gehört Hwang Sok-yong (nach ostasiatischem Usus wird der Nachname zuerst genannt), in dessen Lebensgeschichte sich das Drama Koreas im 20. Jahrhundert widerspiegelt. Geboren wurde er 1943 in der chinesischen Mandschurei, wohin seine Eltern vor der bis 1945 andauernden japanischen Besatzung geflohen waren. Nach Weltkriegsende siedelte die Familie in den Süden des Landes über. Seine Mutter stammte aus Pjöngjang, der Hauptstadt des Nordens, und so riss die Grenze Hwangs Familie wie viele andere in Korea auseinander. Später verbrachte er im Vietnamkrieg auf US-amerikanischer Seite gezwungenermaßen drei Jahre und engagierte sich in den 80er-Jahren offen gegen die Militärdiktatur, die mit Unterstützung der USA in Südkorea in wechselnden Konstellationen und mit unterschiedlich harter Hand bis 1993 regierte. Ironie des Schicksals ist es, dass Hwang genau in dem Jahr, als sich in Seoul die Demokratie festigte, wegen illegalen Aufenthalts in Nordkorea zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde, von denen er bis zu seiner Begnadigung 1998 fünf absitzen musste.
All diese Brüche sowohl in der Geschichte seines Volkes als auch im eigenen Leben verarbeitet Hwang Sok-yong in seinen Romanen und Erzählungen. Bereits 1972 hatte er mit „Die Geschichte des Herrn Han“ großes Aufsehen erregt. Darin erzählt er vom Schicksal eines Flüchtlings, der während des Koreakrieges seine Familie im Norden zurücklässt und im Süden ein neues Leben beginnt, dort jedoch als Spion denunziert wird und in die Fänge des Geheimdienstes gerät.
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INTERVIEW MIT HWANG SOK-YONG VOM JANUAR 2018: https://www.tagesspiegel.de/kultur/suedkorea-und-die-winterspiele-pjoengjang-handelt-voellig-rational/20947480.html
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Der Roman „Der ferne Garten“ mit ebenfalls zahlreichen autobiographischen Bezügen erschien im Jahr 2000 nach Hwangs Haftentlassung: 1999 wird der politische Häftling Oh Hyunuh nach achtzehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Er hatte sich 1980 an einem schließlich blutig niedergeschlagenen Aufstand von Studenten und Arbeitern gegen die Militärdiktatur beteiligt. Kraftlos und entfremdet von seinen eigenen Gefühlen beginnt Hyunuh sich im neuen Südkorea zu orientieren. Seine Schwester teilt ihm mit, dass seine Freundin Yunhi drei Jahre zuvor an Krebs gestorben war. Deren Briefe, die ihm in der Haft vorenthalten worden waren und die ihm seine Schwester nun aushändigt, zeugen von Sehnsucht und Schmerz über den Verlust des Geliebten und bringen Hyunuh dazu, sich auf eine Reise an den Ort ihrer Gemeinsamkeit zu begeben, um die abgeschnittenen Lebensfäden wiederaufzunehmen. Das kleine Dorf Galmö, wo er sich mit Yunhi 1981 für einige Monate vor der Polizei versteckt hatte, hat sich in den knapp zwanzig Jahren zwar sehr verändert, aber da Yunhi das kleine Haus mit dem entzückenden Garten, in dem sie lebten, gekauft hatte, kann er nun dorthin zurückkehren. Er stößt auf ihre Tagebücher, in denen sie ihn direkt anspricht und ihm ihre Empfindungen und Erlebnisse seit ihrer Trennung schildert, aber auch ihre gemeinsame Zeit bis hin zum Abschied an einem regnerischen Abend im Frühherbst wieder wachruft – ein Abschied für immer, denn das Regime unterband außerfamiliäre Kontakte zu Gefangenen und die beiden waren nicht verheiratet. Diese zarten Erinnerungen bringen Hyunuh seinerseits dazu, seine Geschichte im Gefängnis zu erzählen und sein Erleben mit dem Yunhis zu kontrastieren. So entsteht ein Geflecht, in dem die Ebenen der Zeit und die Erzählfäden mitunter verschmelzen – ist es gerade Yunhis Stimme, die der Leser vernimmt, oder nicht doch die Hyunuhs und spricht der Hyunuh der Achtzigerjahre oder eher der, der nun allmählich wieder ins Leben findet und die verlorene Zeit gewissermaßen nacherlebt? Der Leser taucht ein in die zunächst schroff voneinander getrennten Welten der beiden Liebenden, die nachträglich literarisch ineinanderfließen; und er kann sich gefangen nehmen lassen von der dichten, ergreifenden Emotionalität dieses zauberhaften Romans.
Hwang Sok-yong erzählt in der „Der ferne Garten“ nicht nur von einer wunderbaren und dennoch unerfüllten Liebe, sondern wendet sich auch eindringlich gegen Unterdrückung und Unmenschlichkeit. Man kann es nur bedauern, dass die deutsche Ausgabe allein noch antiquarisch zu bekommen ist und Hwangs Werk der letzten Jahre gar nicht mehr ins Deutsche übersetzt wurde.
Malte Heidemann