John Bossy: Agent der Königin

Der Philosoph als Spion? Giordano Bruno und der englische Geheimdienst

Klett-Cotta, Stuttgart 1995 – www.klett-cotta.de

Originalausgabe: Giordano Bruno and the Embassy Affair, Yale University Press, New Haven/London 1991

Cover Bossy

Repro: Klett-Cotta Verlag, Stuttgart

Das Schicksal Giordano Brunos bewegt bis heute. Der Dominikanermönch aus Nola bei Neapel entfloh seinerzeit seinem Orden, weil ihm wegen kritischer Haltungen in Fragen der kirchlichen Lehre ein Prozess bevorstand, und begab sich auf eine Irrfahrt durch halb Europa, die erst mit seiner Gefangennahme in Venedig 1592 enden sollte. In diesen sechzehn Jahren des unsteten Lebens verfasste Giordano Bruno eine Reihe von Schriften, die ihn als einen der außergewöhnlichsten Denker in der europäischen Geistesgeschichte zeigen, aber auch in einen unversöhnlichen Gegensatz zur römischen Kirche brachten. Denn Bruno verteidigte nicht nur das damals revolutionäre Weltbild des Nikolaus Kopernikus, wonach sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, sondern ging sogar noch deutlich darüber hinaus: Das Weltall galt ihm als unendlicher Raum, in dem eine unendliche Zahl an Welten wie die unsere mit unendlichen Möglichkeiten an Lebensformen in einem ständigen Prozess der Veränderung begriffen ist. Aus diesem Denkmodell folgten etliche Lehrsätze, die sich kaum noch mit einem christlichen Weltbild vereinbaren ließen; insbesondere für einen universalen Erlöser, der am Kreuz stirbt, war darin kein Raum. Nach einem Inquisitionsverfahren, das sich über zermürbende acht Jahre hingezogen hatte, verbrannte die Kirche den Unbequemen im Februar 1600 in Rom wegen Ketzerei.

Angesichts dieser durchaus bekannten Geschichte war das 1991 erschienene Buch „Giordano Bruno and the Embassy Affair“ des englischen Historikers John Bossy eine gewaltige Überraschung und erregte im angelsächsischen Raum einiges Aufsehen. Denn es versucht eine geradezu atemberaubende Hypothese zu untermauern: Bruno soll während seines Aufenthaltes im Haus des katholischen französischen Botschafters in London, Michel de Castelnau, in den Jahren 1583 bis 1586 als Spion für die protestantische englische Krone tätig gewesen sein. Folgt man Bossy, so ist es dem dunklen Alter Ego des Philosophen gelungen, ein brandgefährliches Komplott katholischer Kräfte zu enttarnen – und das zielte auf nichts weniger ab, als eine Invasion französischer und spanischer Truppen in England vorzubereiten, Queen Elizabeth I. zu ermorden und an ihrer Stelle ihre katholische Rivalin Mary Stuart aus Schottland zu küren! Bruno gelangte an diese heißen Informationen, indem er sich mit Castelnaus Sekretär Nicolas de Courcelles anfreundete und ihn dazu brachte, wie er selbst für den englischen Geheimdienst zu arbeiten, den wiederum der Staatssekretär der Queen, Sir Francis Walsingham, koordinierte. Auf diese Weise wurde ruchbar, dass ein Adliger namens Sir Francis Throckmorton die Fäden der Verschwörung spann – er wurde im November 1583 festgenommen und Mitte des folgenden Jahres wegen Hochverrats hingerichtet.

Die Korrespondenz des Spions unter dem Pseudonym Henry Fagot mit Walsingham ist erhalten geblieben und lagert überwiegend in der British Library und dem Public Record Office in London; die Texte sind sowohl im Originalwortlaut wie in Übersetzung dem Buch als Anhang beigegeben. Bossy versucht plausibel zu machen, dass hinter der mysteriösen Gestalt Fagot niemand anderes als Giordano Bruno steckte, und kann dabei auf teilweise bestechende Argumente verweisen: Fagot tauchte unmittelbar nach der Ankunft Brunos im Hause Castelnaus im April 1583 erstmals auf, schrieb ein italienisch gefärbtes Französisch und war offenbar Priester mit ausgeprägt papstfeindlichen Ansichten. Zudem lassen insbesondere die ersten Briefe erkennen, dass Fagot noch nicht lange als Spion tätig gewesen sein kann. Seine Spuren verlieren sich 1586 in Paris, von wo aus sich Bruno nach Deutschland abgesetzt hat – alles Gesichtspunkte, die in Tat stark dafür sprechen, Fagot mit der Person des Philosophen zu identifizieren.

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Das Denkmal des Giordano Bruno auf dem Campo de‘ Fiori in Rom. Foto: textbaustelle Berlin

Gleichwohl wirken manche Gedanken- und Beweisgänge in Bossys Buch gewunden und bemüht – und auch nicht immer überzeugend. Eine entscheidende Rolle für sein Anliegen muss natürlich der Abgleich der Handschrift Giordano Brunos mit der Fagots spielen, aber hier ist der Befund keineswegs so eindeutig, wie man es vielleicht hätte erwarten können. Sicher rührt das einerseits daher, dass von Bruno nur wenige handschriftliche Zeugnisse überliefert sind. Dennoch ist die Schlussfolgerung Bossys, Bruno sei entsprechend seinen brillanten Fähigkeiten zur Verstellung auch in der Lage gewesen, seine Handschrift je nach Situation bis zur Unkenntlichkeit zu verändern, nicht gerade befriedigend.

Trotz dieser Einschränkungen ist das Buch keineswegs skurriler Stoff für spezielle Freunde von Verschwörungstheorien, sondern ebenso für neugierige Nicht-Historiker wie natürlich auch für Experten eine ausgesprochen anregende Lektüre, die auf sauberen und intensiven historischen Forschungen beruht. Der Verfasser verfolgt an zahlreichen Stellen minutiös die Handlungsabläufe, analysiert Passagen aus den Dialogen Brunos, die gerade in der Londoner Zeit sehr zahlreich entstanden sind, erwägt, nimmt mögliche Zweifel in seine Darstellung auf und versucht seine Leserinnen und Leser fast wie in einem Gespräch von seiner Auffassung zu überzeugen. Nur dort, wo die Argumentation sich allzu sehr mit Details beschäftigt, mag vor allem Laien geraten sein, auch einmal Passagen zu überspringen und sich an die eher überblicksartigen und resümierenden Abschnitte zu halten, um nicht die Freude an der Lektüre zu verlieren.

Der Reiz des Buches liegt in erster Linie in der Beschäftigung mit einem der bemerkenswertesten Denker der abendländischen Geschichte und in einem sehr unkonventionellen Zugriff des Autors auf die Thematik. Und natürlich drängt sich die Frage auf, ob Giordano Bruno tatsächlich der Agent war, als der er hier dargestellt ist. Hat er nun oder hat er nicht? Machen wir uns dabei bewusst, dass die Theorie Bossys Bruno als einen reichlich abstoßenden Charakter erscheinen lässt, der zum schwersten Verrat an denen, die ihn schützten, in der Lage war. Trifft dies alles zu, hat er seinem Gastgeber Michel de Castelnau, den Botschafter der französischen Krone in England, in dessen Haus er dreieinhalb Jahre lebte und dem er einige seiner Londoner Dialoge gewidmet hat, praktisch das Messer in den Rücken gestoßen – wobei der Botschafter noch von Glück reden konnte, nicht selbst in den Sog des gescheiterten Komplotts wie Throckmorton zu geraten. Opfer des Verrats wäre dann auch der französische König Heinrich III. gewesen, der von Bruno überzeugt war und ihn 1583 mit einem Empfehlungsschreiben nach London gesandt hatte, um ihn in Paris aus der Schusslinie in unerquicklichen Auseinandersetzungen zu nehmen. Und Bruno hätte natürlich auch Throckmorton mit auf dem Gewissen, der vor seiner Hinrichtung schwer gefoltert wurde; Bossy geht so weit, Bruno als handfesten Sadisten zu bezeichnen.

Fundamental anders fällt dagegen das Bild aus, das Eugen Drewermann in seinem Buch „Giordano Bruno oder Der Spiegel des Unendlichen“ aus dem Jahr 1992 gezeichnet hat – hier erscheint der Philosoph aus Nola in einer fiktiven Rückschau auf sein Leben und Leiden kurz vor seiner Verbrennung als leidenschaftlich Liebender, dessen Suche nach der Wahrheit vor der Borniertheit klerikaler Machtträger endet. Man wird kaum irren, wenn man diese völlig konträren Interpretationen auch auf das schillernde Wesen des Giordano Bruno zurückführt, das sich einem Erkenntnisstreben und klaren Festlegungen nur zu sehr widersetzt; und es hat wohl auch viel mit der Einsamkeit dieses ebenso herausragenden wie unsteten Geistes zu tun. So bleibt angesichts widerstreitender Erklärungsmodelle nur ein kräftiger Zweifel – und die Einsicht, dass so manches Wissen um Giordano Bruno unwiederbringlich mit ihm auf dem Scheiterhaufen dahingegangen ist.

 Malte Heidemann

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