Bernhard Schlink: Das Wochenende

Behutsame Auseinandersetzung mit dem RAF-Terrorismus

Diogenes Verlag, Zürich 2008/2010 – www.diogenes.ch

Cover Schlink, Wochenende 72dpiDem Romanautor Bernhard Schlink gelingt es immer wieder, sich gesellschaftlichen Reizthemen auf eine sehr sensible Weise zu nähern. Nach seinem mehrfach preisgekrönten Werk „Der Vorleser“, einer Auseinandersetzung mit der deutschen NS-Vergangenheit im Spiegel einer tragischen Liebesgeschichte, legte er 2008 den Roman „Das Wochenende“ vor. Darin beschäftigt er sich mit dem Terrorismus der RAF, der Westdeutschland in den 60er- und 70er-Jahren erschüttert hat:

Der Terrorist Jörg, der wegen vierfachen Mordes 23 Jahre Haft verbüßt hat, wird vom Bundespräsidenten überraschend begnadigt. Seine ältere Schwester Christiane, die ihm seit dem Tod der Mutter diese stets zu ersetzen versucht hat, arrangiert zusammen mit ihrer Freundin Margarete in ihrem gemeinsamen Haus im Brandenburgischen ein Wochenende mit alten Freunden und einstigen Sympathisanten; sie möchte ihm den Start in die Zeit nach dem Gefängnis möglichst angenehm gestalten. Dabei treffen sehr unterschiedliche Typen aufeinander, die bis auf eine Ausnahme alle eint, dass sie in bürgerlichen Berufen angekommen sind: Karin, Bischöfin einer kleinen evangelischen Landeskirche, Ulrich, der eine erfolgreiche Dentallabor-Kette betreibt, die schriftstellernde Lehrerin Ilse, der Topjournalist Henner, der deutlich jüngere Marko, der Jörg bewundert und ihn zum weiteren Kampf gegen Staat und Gesellschaft animiert, sowie Jörgs Anwalt Andreas, der seinem Mandanten gerade den revolutionären Zahn ziehen will. Aus dieser Konstellation heraus entwickelt sich schnell eine ungemein dichte Atmosphäre, in der alte Rechnungen wieder auf den Tisch kommen und neue Konflikte sich zusammenbrauen. Die Protagonisten schreiten an diesem Wochenende das gesamte Arsenal an Fragen ab, das der Terrorismus aufwirft: Wo verläuft die Grenze zwischen angemessener Opposition gegen den Staat und sinnloser Gewalt? Hat der Tod von hohen Repräsentanten des Staates die revolutionäre Sache vorangetrieben? Sind die RAF-Morde denen des Nationalsozialismus nicht vielleicht doch ähnlicher, als sich die Täter das vorgestellt haben? Hat Jörg für seine Taten „bezahlt“? Eine nochmalige Zuspitzung erfährt die Situation, als Jörgs Sohn Ferdinand unvermutet die Szene betritt und seinen Vater schonungslos mit sich selbst konfrontiert.

Bernhard Schlink hat ein Werk geschaffen, das erneut ganz heikle Fragen auf eine sehr feine und bedächtige Art angeht. In bisweilen schlichter, bisweilen aber auch hoch poetischer Sprache spürt er seinen mitunter wenig zart besaiteten Charakteren nach, leuchtet ihre Motive aus und nimmt seine Leser in den Prozess ihres Nachdenkens mit hinein. Schlinks anregende Reflexionen über den Terrorismus haben unbestreitbar auch einen aktuellen Kontext.

Malte Heidemann

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